Die ehemalige Sowjetrepublik Kirgistan gehört zu den ärmsten Ländern Zentralasiens. Das Gesundheitssystem hinkt den Bedürfnissen hinterher. Vor allem die ländliche und ältere Bevölkerung ist unterversorgt, und die Armutsblindheit ist weit verbreitet.
Das Schweizerische Rote Kreuz und der Rote Halbmond von Kirgistan setzen sich seit 2016 für den Aufbau der Augenmedizin im Land ein. Das Engagement erfolgt in enger Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsministerium und den Spitälern. Es geht insbesondere auch darum, den Zugang zu guter augenmedizinischer Versorgung in abgelegenen Regionen des Landes zu gewährleisten. 2017 konnte das Provinzspital Batken im Südwesten des Landes eine eigene Augenklinik einweihen. Das Rote Kreuz stellte moderne Ausrüstung zur Verfügung und schulte das medizinische Personal für Augenoperationen. Ebenfalls in Batken wurde mit der Unterstützung des Schweizerischen Roten Kreuzes das erste und bislang einzige Optikergeschäft in der Stadt eröffnet.
Mittlerweile wurde das augenmedizinische Engagement auf den ganzen Süden des Landes ausgeweitet. Die Hälfte der kirgisischen Bevölkerung hat nun besseren Zugang zu Vorsorge und Behandlung. Auf nationaler Ebene wird das Gesundheitsministerium unterstützt bei der Entwicklung des nationalen Programms für die Augenmedizin. Zu diesem Zweck wurden erstmals Studien zur Häufigkeit und Ursache von Sehstörungen durchgeführt.
Anspruchsvoller Kontext fordert Flexibilität
Das laufende Jahr ist für Kirgistan von mehreren Krisen geprägt. Die Coronapandemie belastet das Gesundheitssystem und somit auch die Augenmedizin. Nach einer ersten schwierigen Phase im Frühling 2020 verschlechterte sich die Situation Mitte April 2021 wieder und erreichte im Juli einen Höhepunkt. Während die Spitäler hohe Zahlen von Krankheitsfällen zu bewältigen hatten, forderte die nationale Impfkampagne zusätzlichen Einsatz von medizinischem Personal. Wahleingriffe waren nicht mehr möglich, ältere Ärztinnen und Ärzte durften zum eigenen Schutz nicht mehr arbeiten, und Augenärztinnen und Augenärzte kamen in der Infektionskontrolle zum Einsatz.
Angesichts dieser Herausforderungen zeigen Gesundheitspersonal und Freiwillige des Roten Halbmonds enorme Stärke und Flexibilität, die es ihnen erlauben, ihre Arbeit wo immer möglich und unter Einhaltung der geltenden Schutzmassnahmen fortzuführen. Unter anderem schlossen sie sich mit verschiedenen medizinischen Fachgebieten zusammen, um Menschen bei einer einzigen Gelegenheit mit wichtigen Informationen zu versorgen: zur Augengesundheit, zum Blutspenden und zum Schutz vor dem Coronavirus.
So erreichten sie auch inmitten der Pandemie Menschen wie Kairinsa Berdikulova. Die 60-jährige Frau lebt in Sulukta, einer Bergbaustadt im Südwesten Kirgistans. Im Juni 2020 besuchte sie eine Veranstaltung, wo sie von Freiwilligen des Roten Halbmonds Informationen über die Augenpflege und Behandlungsmöglichkeiten erhielt. Als Kairinsa Berdikulova den Freiwilligen von ihrem Augenleiden erzählte, liessen diese sie einen Sehtest machen. Bald darauf diagnostizierte ein Augenarzt den Grauen Star auf beiden Augen und empfahl eine Operation. Da das nächstgelegene Spital wegen Quarantäne geschlossen war, wurde für die Patientin der Transport ins übernächste Spital organisiert. Dank der Operationen kann Kairinsa Berdikulova endlich wieder sehen.
Grosseinsatz wegen Grenzkonflikt
Im April dieses Jahres war das augenmedizinische Projekt ausserdem vom kirgisisch-tadschikischen Grenzkonflikt betroffen, der im Grenzgebiet der Region Batken ausgetragen wurde. Viele Menschen wurden verletzt oder verloren ihr Zuhause. Der Kirgisische Rote Halbmond und seine Partner leisteten einen immensen Beitrag: Mehr als 200 Mitarbeitende und fast 800 Freiwillige waren im Einsatz, um den betroffenen Personen Hilfe zu leisten. Weil Häuser niedergebrannt waren, stellten sie Zelte bereit und versorgten die Betroffenen mit Nahrungsmitteln und Wasser. Das Spital in Batken konnte nicht alle Verletzten betreuen, sodass sämtliche Spitäler im Süden des Landes mit der Aufnahme von Verwundeten beschäftigt waren. Dieser Grosseinsatz von Personal und Freiwilligen hatte Verschiebungen der Prioritäten zur Folge (lebensrettende Massnahmen vor Wahleingriffen), und Sensibilisierungsarbeiten durch mobile Kliniken mussten aus Sicherheitsgründen verschoben werden.
Sobald es die Situation zuliess, wurde diese Arbeit fortgeführt. Insgesamt wurden im ersten Halbjahr 2021 1051 Patientinnen und Patienten in Augenkliniken operiert – fast doppelt so viele wie im gleichen Vorjahreszeitraum. In 716 Fällen wurde der Graue Star operiert. Augenärztinnen und Augenärzte reisten in Begleitung von Freiwilligen des Roten Halbmonds in abgelegene Gebiete, um die Bevölkerung über Augengesundheit und Erkrankungen zu informieren und ihre Augen zu untersuchen. Im ersten Halbjahr 2021 wurden so 24 000 Kinder und Erwachsene erreicht. Auch das Optikergeschäft in Batken ist gut besucht. Die Überschüsse aus den Einnahmen kommen Kindern aus besonders armen Familien zugute. Sie erhalten kostenlos eine angepasste Brille.