Steigende Krankenkassenprämien und immer teurere Medikamente. Das sind die Hauptsorgen in der Debatte über das Schweizer Gesundheitssystem. Dass der Gesundheitssektor auch einen volkswirtschaftlichen Nutzen hat, wird dabei gern ausgeblendet. Bringt man die Kosten in Beziehung zu den erbrachten Leistungen, zeigt sich ein anderes Bild.
Viele Arbeitsplätze
Aktuell arbeiten rund 650 000 Personen im Schweizer Gesundheitswesen und in den Heimen. Das entspricht rund 365 000 Vollzeitäquivalenten oder 9 Prozent der Gesamtbeschäftigung. Am meisten Arbeitsplätze schaffen die Spitäler mit fast 175 000 Stellen, gefolgt von Alters- und Pflegeheimen, Spitex und Arztpraxen. All diese Angestellten arbeiten nicht nur in der Schweiz, sie leben hier, kaufen ein, zahlen Steuern und tragen so zur Volkswirtschaft bei. Auch in Zukunft wird das Gesundheitswesen einer der grössten Arbeitgeber bleiben. Denn Gesundheits- und Pflegedienstleistungen sind trotz Automatisierung und Digitalisierung personalintensiv. Und die Schweizer Bevölkerung wird immer älter und braucht Betreuung.
Pharma- und Medizintechnikbranche Kurbeln den Wirtschaftsmotor an
Der Gesundheitssektor umfasst nicht nur Spitäler und Arztpraxen, sondern auch die Pharma- und die Medizintechnikbranche. Beide Branchen zählen zu den volkswirtschaftlich produktivsten der Schweiz und spielen eine wichtige Rolle als Innovatoren, Arbeitgeber, Steuer- und Abgabezahler. 2020 wurden 5,4 Prozent der Schweizer Bruttowertschöpfung von der Pharmabranche erwirtschaftet. Berücksichtigt man auch indirekte Effekte, steigt diese Zahl auf 9,2 Prozent. Zu solchen indirekten Effekten zählen externe Aufträge, die Pharmafirmen an hiesige Zulieferer vergeben; seien das Handwerksbetriebe, Gastronomieunternehmen oder Versicherungen. Ausserdem treibt die Pharmabranche den Wirtschaftsmotor Schweiz an: Gemäss der Aussenhandelsstatistik des Bundesamts für Zoll und Grenzsicherheit machte der Export pharmazeutischer Produkte im Jahr 2021 rund 38 Prozent des Gesamtvolumens aller Schweizer Exporte aus. 2020 stellte die Branche jeden 15. Industriearbeitsplatz. Die Medizintechnikbranche weist Jahr für Jahr ein überdurchschnittliches Beschäftigungswachstum aus. 2019 machten die rund 63 000 Arbeitsplätze in der Medizintechnik 1,2 Prozent der gesamten Arbeitsplätze in der Schweiz aus. Wegen zahlreicher Start-ups ist zudem zu erwarten, dass die Branche auch in Zukunft weiterwächst.
Vom Gesundheitssektor profitieren alle
Es erstaunt auch nicht, dass die Schweiz einer der führenden Forschungs- und Innovationsstandorte der Welt ist. Schweizer Universitätsspitäler und -kliniken erreichen in internationalen Rankings regelmässig Plätze unter den Besten weltweit. Gerade die Pharmaindustrie zeichnet sich durch eine überdurchschnittlich hohe Forschungsintensität aus. Jährlich investieren die Unternehmen rund sieben Milliarden Franken in Forschung und Entwicklung. Rund die Hälfte dieser Forschungsausgaben fliesst in die Grundlagenforschung. Davon profitieren die Schweizer Universitäten und alle, die dort studieren und arbeiten.
Vom medizinischen Fortschritt profitieren alle
Neben dem volkswirtschaftlichen Nutzen ist der Gesundheitssektor auch gesellschaftlich und individuell ein Gewinn. Die ganze Bevölkerung, jeder Patient und jede Patientin, profitiert direkt vom medizinischen Fortschritt. Dies schlägt sich in einer langen Lebenserwartung und einer hohen Lebensqualität nieder. Ein gutes Gesundheitswesen hat ausserdem weniger sowie weniger lange Krankheitsausfälle zur Folge, was wiederum der Volkswirtschaft Schweiz zugutekommt. Aus verschiedenen Befragungen ist auch bekannt, dass die Schweizer und Schweizerinnen das Prämienwachstum als belastend empfinden, gleichzeitig schützen sie aber die hohe Qualität und die gute Zugänglichkeit der Gesundheitsversorgung.
Ein ganzheitliches Bild ist gefragt
Umfassende volkswirtschaftliche Studien, die Kosten und Nutzen des Gesundheitssystems gleichermassen integrieren, fehlen in der Schweiz bis anhin. Dennoch zeigen die einzelnen Zahlen, dass die Diskussion über das Gesundheitswesen nicht geführt werden darf, ohne auch dessen Nutzen zu berücksichtigen. Ein Perspektivenwechsel rückt die Dinge ins rechte Licht. Gesundheitspolitik betrifft nicht nur das Krankenversicherungsgesetz, sondern auch die Medizin, die Volkswirtschaft, die Bildung, die Digitalisierung und die internationalen Beziehungen des Landes. Es wäre an der Zeit, Gesundheitspolitik in diesem grösseren Rahmen zu denken.