Niklaus Ingold, welche Meilensteine haben Sie bei der Recherche über die Geschichte der ZMK Bern gefunden?
Ingold: Das wichtigste Ereignis war der Neubau auf dem Inselareal 1954. In diesem Gebäude sind die ZMK Bern heute noch untergebracht. Es hat sich als sehr flexible Hülle erwiesen. Stets konnte es an neue Bedürfnisse und technische Entwicklungen angepasst werden. Davor war das zahnärztliche Institut in Büroräumen eingemietet. Wegen Platzmangels und unangenehmer Gerüche – in den Quellen ist die Rede von Blutgeruch und von Dampf aus dem Sterilisationszimmer – war bald klar, dass dies nur ein Provisorium sein konnte. 1947 stand sogar die Schliessung des Instituts zur Debatte. Ein weiterer Meilenstein war die Neuorganisation 1970, als die Abteilungen des alten Zahnärztlichen Instituts zu Kliniken aufgewertet und die Klinikleiter zu ordentlichen Professoren der Medizinischen Fakultät befördert wurden. Neubau und Aufwertung waren die Voraussetzung dafür, gute Leute in Bern halten zu können. Um das Jahr 2000 herum schufen Reformen unter den Vorzeichen des New Public Management neue Gestaltungsmöglichkeiten für die Kliniken. Sie durften wachsende Dienstleistungseinnahmen von nun an in Eigenregie in Personal oder Forschungsinfrastruktur investieren.
Hendrik Meyer-Lückel, Sie arbeiten seit fünf Jahren an der Universität Bern. Welche Besonderheit ist Ihnen am stärksten aufgefallen?
Meyer-Lückel: Die ZMK Bern bearbeitet übergeordnete Aufgaben wie die Ausbildung, die Weiterbildung oder die Forschung im Rahmen einer starken Vernetzung der einzelnen Kliniken. Grundlage ist eine organisatorische Matrixstruktur; das heisst, ein sogenanntes Ressort wird jeweils für eine Zeit lang von einem Klinikchef angeleitet. Das habe ich an den Standorten, an denen ich bisher gearbeitet habe, so nicht erlebt.
Haben die ZMK Bern auch Akzente in der Zahnmedizin gesetzt?
Ingold: Ja, zum Beispiel in den 1970er-Jahren. Die ZMK Bern begannen damals, die Entwicklung von Zahnimplantaten voranzutreiben. Dadurch entstanden nicht nur neue Behandlungsmöglichkeiten, sondern auch das heutige International Team for Implantology (ITI). In der Lehre schlugen die ZMK Bern ebenfalls in den 1970er-Jahren mit der sogenannten synoptischen Zahnmedizin einen neuen Weg ein. Die Studierenden übernahmen im letzten Studienjahr nicht nur einzelne Eingriffe an einem Patienten oder einer Patientin, sondern betreuten die Person von A bis Z, das heisst: Aufnahme der Krankengeschichte, Erstellen des Behandlungsplans, Berechnen der Kosten und Durchführung der Eingriffe.
Was hat Sie bei der Recherche für das Buch besonders erstaunt?
Ingold: Wie schwierig es war, die einzelnen zahnmedizinischen Fachgebiete voneinander abzugrenzen. Diese Grenzziehungen und die Aufteilung auf fünf Kliniken ergaben sich nicht von allein. Sie mussten immer wieder neu verhandelt werden. Im Lauf der Zeit entstanden auch neue Schwerpunkte. Die Parodontologie beispielsweise kam erst in den 1970er-Jahren als Lehrfach hinzu. Meyer-Lückel: Das ist richtig, die Fächer kristallisierten sich immer wieder neu heraus. Interessant ist auch, wie stark dieser Vorgang von einzelnen Personen abhing. Wenn jemand in seinem Gebiet gute Arbeit leistete, gab man ihm an den ZMK Bern die Möglichkeit, sein Fach weiterzuentwickeln.
Ist der Kampf zwischen den Fachbereichen heute kein Thema mehr?
Meyer-Lückel: Die Fächer richten sich eher am Bedarf aus. Wenn in der Bevölkerung beispielsweise weniger Totalprothesen eingesetzt werden, brauchen wir keine spezielle Professur in dieser Richtung. Dafür haben andere Gebiete – wie eben die Parodontologie oder auch die orale Diagnostik – in den vergangenen Jahrzehnten mehr Gewicht bekommen.
Welche Rolle spielte die internationale Vernetzung in der Geschichte der ZMK Bern?
Ingold: Das Zahnärztliche Institut bildete anfänglich Berufsleute für einen national begrenzten Arbeitsmarkt aus. Das änderte sich während des Kalten Kriegs. Die USA schufen den transatlantischen Wissenschaftsraum, in dem Techniken, Personal und Wissen zirkulierte. Die Schweiz war darin eingebunden. Auf einmal gab es auf beiden Seiten des Atlantiks eine Nachfrage nach zeitlich begrenzten Forschungs- und Weiterbildungsaufenthalten. Die Berner knüpften Kontakte zu führenden Zahnmedizineinrichtungen in Nordamerika und Skandinavien und festigten dieses Netzwerk durch die Vergabe von Ehrendoktortiteln. Der erste nicht deutschsprachige Professor an den ZMK Bern war ein Schwede. Er wurde 1982 an die Klinik für Kieferorthopädie berufen.
Zurück in die Gegenwart: Wie gut sind die ZMK Bern heute in der Berner Bevölkerung verankert?
Meyer-Lückel: Mit unseren Dienstleistungen am Patienten erwirtschaften wir jährlich rund 15 Millionen Franken. Ausserdem übernehmen wir viele soziale Aufgaben: Wir betreuen Altersheime und bieten in der Klinik Siloah eine Sprechstunde für ältere Patienten an. Und – das ist etwas ganz Besonderes – wir betreuen auch drei Gefängnisse in der Region. Das ist interessant für unsere jungen Kolleginnen und Kollegen. Im Studentenkurs können sich Patienten zu einem Drittel des sonst üblichen Honorars behandeln lassen.
Und welchen Stellenwert hat die Zahnmedizin an der Universität Bern?
Meyer-Lückel: Wir empfinden eine wohl wollende Wahrnehmung durch die Universitätsleitung und die Medizinische Fakultät. Auch die Spitzenplätze in den Hochschulrankings, die Bern neben Zürich im Fach Zahnmedizin jeweils erreicht, werden registriert.
In welchen Bereichen gibt es Nachholbedarf?
Meyer-Lückel: Bei der Digitalisierung. Ab dem nächsten Jahr werden wir endlich elektronische Patientenakten führen. Zudem werden im Lauf der nächsten zwei Jahre die klinischen Arbeitsplätze für die Studentinnen und Studenten professionalisiert. Es werden Behandlungsabteile eingerichtet, sodass die Patienten mehr Privatsphäre haben. Wir wünschen uns natürlich auch einen Neubau der ZMK Bern; hier ist aber die Politik gefragt, um so einen weiteren Meilenstein finanziell bewältigen zu können.